FRIEDERIKE MAYRÖCKER
Alpensprache Rohrmoos
damals im Gebirge August waren die Abende kühl aber
unsere Seelen brannten zählten nachts die Sterne am Himmel erkannten
den Groszen und Kleinen Wagen Kassiopeia und Venus schliefen
einander in Armen haltend am Morgen die bloszen
Füsze im Tau gebadet flügelschlagende
Wälder. Manchmal ins Städtchen hinunter um Honig zu holen. Stifte
Papier und Wein zirpende Andacht. Wir
Setzen uns mit Tränen nieder denn unser Leben war zu kurz
2003
aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004
Im steiermärkischen Bergort Rohrmoos hatten die 1924 geborene Dichterin Friederike Mayröcker und ihr Lebensgefährte und „Ohrenbeichtvater“ Ernst Jandl (1925–2000) einige Sommer lang ein Haus mit einem wilden, verwucherten Garten gemietet – ein poetisches Refugium. Hier entstanden bezaubernde lyrische Aquarelle über mystische Naturaugenblicke und die Ahnung der Vergänglichkeit.
Das zaubrische Zusammenwirken der Naturelemente korrespondiert in dem im Juli 2003 entstandenen Gedicht mit dem innigen Beisammensein der Liebenden. Friederike Mayröcker hat hier ihrer symbiotischen poetischen Verbindung mit Ernst Jandl ein ergreifendes Liebesgedicht gewidmet. Dass die Zartheit dieses Tableaus auch religiöse Grundierungen hat, erhellt aus der Fügung „zirpende Andacht“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
„Wir setzen uns mit Tränen nieder“, so beginnt der Schlusschor aus J.S. Bachs „Matthäuspassion“.