Friederike Mayröckers Gedicht „HABE NIEMAND WO ICH LIEGEN KANN WENN…“

FRIEDERIKE MAYRÖCKER

HABE NIEMAND WO ICH LIEGEN KANN WENN
öffnen die Blumen wenn öffnen die Sterne der Mond
habe niemand dasz ich sprechen kann wie
damals zu dir weil kein Wort ist zu jenen
die noch am Leben. Kalt ist und einsam
die Nacht, 1 wenig Ende der Lippenzauber
in 1 Café

für Ernst Jandl

aus: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2007

 

Konnotation

Die Österreicherin Friederike Mayröcker, Jahrgang 1924, ist der Tradition der klassischen Moderne verpflichtet. Seit ihren Anfängen zählt sie zu denjenigen, die die von den Nazis verbannten Verfahren des Expressionismus und Surrealismus weiterentwickelten. Mayröckers Stimme, ihr sound, ist längst unverwechselbar: Ihre radikale Prosa und ihre Lyrik artikulieren den Exzess mit einem „Liebling“, der in aller Emphase und in aller Demut nichts anderes als die Sprache selbst ist. Darüber hinaus sind ihre Texte ein fortgesetztes Zwiegespräch mit Lebenden und Toten, zu denen ganz organisch auch Johann Sebastian Bach, Jean Paul oder Gertrude Stein gehören.
Friederike Mayröckers Lebens- und Produktionsgefährte Ernst Jandl starb im Juni 2000. Ihr Gedicht benennt in zunächst stockender, unterbrochener, dann fast liedhafter Diktion noch einmal den ganzen Verlust, der immer wieder neu erlitten wird – auch und gerade, wenn es doch Blumen und Sterne, wenn es Schönheit und Leben zu teilen gäbe.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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