FRIEDRICH HEBBEL
Sommerbild
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
aaaaaSie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
aaaaaSo weit im Leben, ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
aaaaaNur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
aaaaaBewegte, sie empfand es und verging.
1844
Aus der Perspektive eines Botanikers ist das „Sommerbild“ des Dichters und Dramatikers Friedrich Hebbel (1813–1863) nicht ganz korrekt. Denn die letzte Rose blüht im Spätherbst, nicht an einem windstillen Sommertag. Aber dieses Gedicht, das Hebbel im August 1844 in Paris schrieb, entwirft ja kein sinnliches Bild von einem Naturphänomen oder einer Jahreszeit, sondern will einzig von der Erfahrung der Vergänglichkeit sprechen.
Die letzte blutrote Rose des Sommers verweist hier darauf, dass die höchste Lebenssteigerung den Tod mit sich führt. Die melancholische Wortmusik des Gedichts und der ruhige Gang der fünfhebigen Jamben können nicht vergessen machen, dass hier ein Gedankenlyriker am Werk ist. Denn das Naturbild gerät Hebbel vollkommen zur Allegorie: Es demonstriert geradezu die Gleichzeitigkeit vom erfüllten, rauschhaften Lebensaugenblick und einer bedrohlichen Todesnähe.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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