FRIEDRICH SCHILLER
Würde des Menschen
Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.
1796
In seinen 1795 verfassten Briefen Ueber die aesthetische Erziehung des Menschen hatte Friedrich Schiller (1759–1805) bereits festgehalten, dass um der „Würde des Menschen willen seine Existenz nicht in Gefahr geraten darf’“. Dieser Gedanke, dass die Würde als Ausdruck einer „erhabenen Gesinnung“ nicht über elementare Fragen der materiellen Lebenssicherung gestellt werden kann, findet dann seinen prägnantesten Ausdruck in einem Distichon, das im Januar 1796 entstand.
Wer Schiller als Heros eines praxisentrückten Idealismus missversteht, wird sich hier die Augen reiben. Denn entgegen einem abstrakten „Würde“-Pathos wird hier in lakonisch-unmissverständlicher Weise ein materialistischer Gedanke zur Geltung gebracht. Es dauerte noch fast 150 Jahre, bis mit dem grimmigen Marxisten Bertolt Brecht (1898–1956) ein weiterer Dichter von Weltrang die Prioritäten zurechtrückte: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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