Friedrich Schillers Gedicht „Zwei Eimer sieht man ab und auf…“

FRIEDRICH SCHILLER

Zwei Eimer sieht man ab und auf…

Zwei Eimer sieht man ab und auf
In einem Brunnen steigen,
Und schwebt der eine voll herauf,
Muß sich der andre neigen.
Sie wandern rastlos hin und her,
Abwechselnd voll und wieder leer,
Und bringst du diesen an den Mund,
Hängt jener in dem tiefsten Grund;
Nie können sie mit ihren Gaben
In gleichem Augenblick dich laben.

1802

 

Konnotation

Am 27. Dezember 1801 hatte Friedrich Schiller (1759–1805) die Übersetzung eines „tragikomischen Märchens“ des venezianischen Dramatikers Carlo Gozzi (1720–1806) abgeschlossen. Im Mittelpunkt des Märchenspiels „Turandot“ steht die gleichnamige chinesische Prinzessin. Um die in ganz Asien zum Sklavendasein verdammten Frauen zu rächen und selbst der Heirat zu entgehen, lässt die blutrünstige Turandot jeden Freier hinrichten, der ihre drei Rätsel nicht lösen kann.
Um dem Weimarer Publikum nach der Uraufführung am 30. Januar 1802 den Theaterbesuch schmackhaft zu machen, schrieb Schiller für jede Inszenierung neue Versrätsel. Das achte Versrätsel, bestimmt für die Aufführung am 24. April 1802, formuliert das Bild von den zwei gegenläufig schwebenden Eimern. Die richtige Lösung, von Schiller selbst in „Antwortgedichten“ enthüllt, lautet: „Der Tag ist’s und die Nacht, die nie gemeinsam sind.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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