FRIEDRICH THEODOR VISCHER
Eiertanz
Magst du, statt einfach zu geh’n, zu steh’n,
Einen Eiertanz lieber tanzen,
Mußt in die höchste Gesellschaft geh’n,
Unter Orden und Litzen, Spitzen und Fransen,
Mußt auf glattem Boden dich dreh’n.
Da tanze nach Lust
Mit gehobener Brust!
Nur rutsche nicht aus, zertritt kein Ei,
Sonst ist die Herrlichkeit vorbei. –
Nun ja! Dann werde du eben wieder
Johann, der muntere Seifensieder.
Nach 1860
Die primären Antriebskräfte des Ästhetikers und Dichters Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) waren der furchtlose Spott und ketzerische Witz gegen alle religiösen und politischen Obrigkeiten. Bereits als Theologe hatte Vischer keinen Skandal gescheut und an der Universität Tübingen 1844 ein öffentliches Bekenntnis zum Pantheismus abgelegt, was ihm ein vorübergehendes Lehrverbot eintrug. In seinen Gedichten, die er 1882 in den Lyrischen Gängen sammelte, mokierte er sich oft über die Leeren Rituale der Mächtigen.
Folgt man Vischers frechem Gedicht, ist der „Biertanz“ die bevorzugte Bewegungsform der höheren Klassen. Nun wird den anderen Gesellschaftsschichten ironisch der Rückgriff auf den Eiertanz anempfohlen. Wer hierbei versagt, dem bleibt nur der Weg, den eine Gestalt des Rokoko-Dichters Friedrich von Hagedorn (1708–1754) gewählt hat: „Johann, der muntere Seifensieder“ ist das Synonym für eine etwas einfältige Arbeitsfröhlichkeit.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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