Friedrich von Logaus Gedicht „Bücher“

FRIEDRICH VON LOGAU

Bücher

Es ist mir meine Lust, bei Toten stets zu leben,
Mit denen um und um, die nicht seyn, seyn gegeben,
Zu fragen, die sind taub, zu hören, die nichts sagen,
Und die, die haben nichts, sehr viel hingegen tragen,
Zu halten lieb und werth. Ich bin auff die beflissen,
Die mir viel gutes thun und doch von mir nichts wissen;
Ich halte diese hoch, die mich nur an nicht sehen;
Die manchmal mich mit Ernst verhöhnen, schelten, schmähen,
Sind meine beste Freund. Und solt ich die begeben,
Eh geb ich alle Welt, eh geb ich auch das Leben.

1654

 

Konnotation

Der Barockdichter Friedrich Logau (1605–1655) ist vor allem für seine Sinn-Gedichte berühmt geworden, von denen er an die dreitausend schrieb. Sein Bewunderer Lessing schrieb über ihn: „Kaum, daß unsere neuen Kunstrichter und Lehrer der Poesie seinen Namen noch anführen; weiter führen sie auch nichts von ihm an. Wieviel fortreffliche Beispiele aber hätten sie nicht aus ihm entlehnen können.“ Und als hundert Jahre später Gottfried Keller in seinem Novellenzyklus das „Sinngedicht“ auf Logau zurückgriff war der „Sinn-Dichter“ nur noch wenigen Kennern vertraut.
Das Epigramm „Bücher“ stammt aus einer Zeit, in der das Buch die beste Art der Wissensspeicherung war und Lesen die beste Form des Informationstransports von einem Kopf zum anderen. Logaus Gedicht setzt bewusst die Zeitgenossenschaft des Lesers mit den Toten früherer Zeiten voraus. Lesen wird so zu einer Kommunikationsform, die an einem Gedankenstrom teilhaben lässt, der seit den Anfängen der Schrift lebendig ist.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00