Friedrich von Logaus Gedicht „Heutige Weltkunst“

FRIEDRICH VON LOGAU

Heutige Weltkunst

Anders sein und anders scheinen;
Anders reden, anders meinen;
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,
Allem Winde Segel geben,
Bös’ und Guten dienstbar leben;
Alles Tun und alles Dichten
Bloß auf eignen Nutzen richten:
Wer sich dessen will befleißen,
Kann politisch heuer heißen.

um 1640

 

Konnotation

Friedrich von Logau (1604–1655), der Abkömmling eines alten schlesischen Adelgeschlechts, gilt als der bedeutendste deutschsprachige Epigrammatiker des 17. Jahrhunderts. Gegen Ende seines Lebens hatte er mehr als „Drey Tausend“ Reimsprüche, Kurzsatiren, Gelegenheitsgedichte, Sinnsprüche und lyrische Weisheiten in einem Buch versammelt: ein Archiv der scharfsinnigen Zeitkritik.
In den Jahren der fürchterlichen Verheerung Europas durch den Dreißigjährigen Krieg attackierte Logau die Grausamkeit, Habsucht, Heuchelei und Sprachverwilderung seiner Zeitgenossen. In einigen seiner „Sinn-Getichte“ gelangen ihm dabei grimmige Pointierungen zur politischen Klasse seiner Zeit, die auch heute verblüffende Aktualität besitzen. Die „Weltkunst“ des Politischen im Barock, jenes opportunistische Spiel um Verstellung, Heuchelei, Eigennutz und Gefälligkeit, scheint sich kaum vom Handwerk des Politischen in der Gegenwart zu unterscheiden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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