Gabriele Wohmanns Gedicht „Rasch lesen“

GABRIELE WOHMANN

Rasch lesen

Jetzt wie es jetzt ist
Nicht dann und wann
Nicht wie es vorhin war
Jetzt diese Beleuchtung
Für diesen Moment jetzt
Mit dem einmaligen Luftzug
Mit dem Ast dort jetzt
Himmel, das Stück Gras
Vergängliche Gruppierung der Gartenmöbel
Und deren Rot nur jetzt
Jetzt dies Glas und so wie es jetzt ist
Jetzt in dieser Hinsicht
Und nur in dieser, nur jetzt
Bin ich dafür.

nach 1970

aus: Gabriele Wohmann: Ich weiß das auch nicht besser. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1990

 

Konnotation

Gabriele Wohmann, Jahrgang 1932, veröffentlicht seit Mitte der 1950er Jahre in rascher Folge ihre Erzählungen, Romane und auch mehrere weniger bekannte Gedichtbände. Seit den 1980er Jahren tritt Wohmanns christlicher Hintergrund deutlicher in Erscheinung, auch wenn die Autorin vorsichtig mit dezidierten Aussagen ist. Und doch geht es ihr darum, Literatur „über Ungetröstete, über Trostbedürftige, über Trostversessene“ zu schreiben.
„Rasch lesen“, dieser Titel des Gedichts kann als Aussage, aber auch als Aufforderung verstanden werden, das Folgende nur zu überfliegen. Und es geht auch um eine Reihe von zufälligen Eindrücken draußen unter freiem Himmel. Das Gedicht sucht keine schwergewichtige Bedeutung. Mit dem immer neu, fast atemlos ansetzenden „jetzt“ wird die Einmaligkeit des Augenblicks evoziert, der so flüchtig ist wie ein Wimpernschlag. In der letzten Zeile erst taucht das „Ich“ auf, das auf spröde, vorsichtige Art sein „ja“ zur Welt ausdrückt und sich damit auf säkulare Weise tröstet.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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