Georg Büchners Gedicht „Nacht“

GEORG BÜCHNER

Nacht

Wieder eine Nacht herabgestiegen
Auf das alte ew’ge Erdenrund,
Wieder eine Finsternis geworden
In dem qualmerfüllten Kerkerschlund

1828

 

Konnotation

Was der 15jährige Georg Büchner (1813–1837) an Weihnachten des Jahres 1828 niederschreibt, könnte man als fatalistisches Kondensat seiner späteren Theaterstücke lesen. Sein Vierzeiler benennt die ewige Finsternis der menschlichen Existenz, ein planetarisches Verhängnis, aus dem kein Entkommen ist. Denn dieses Dasein auf dem „Erdenrund“ ist ein „Kerkerschlund“ – der Gedanke an eine rettende Flucht kommt hier erst gar nicht auf.
Die Büchner-Exegeten mögen darum streiten, ob diese lyrische Miniatur sein Weltbild als Dramatiker hinreichend erfasst. Im Drama Dantons Tod (1835) ist jedenfalls vom „grässlichen Fatalismus der Geschichte“ die Rede, der alle Protagonisten historischen Veränderungswillens verschlingt. Was der Vierzeiler als finstere anthropologische Konstante benennt, wird in Büchners Stücken an exemplarischen Konstellationen ausdifferenziert. Auch sein Anti-Held Woyzeck (1837) wie auch der unglückliche Jakob Michael Reinhold Lenz als Protagonist der gleichnamigen Novelle (1835) sind letztlich in einem „Kerkerschlund“ gefangen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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