Georg Weerths Gedicht „Herüber zog eine schwarze Nacht“

GEORG WEERTH

Herüber zog eine schwarze Nacht

Herüber zog eine schwarze Nacht.
Die Föhren rauschten im Sturme;
Es hat das Wetter wild zerkracht
Die Kirche mit ihrem Turme.

Zerschmettert das Kreuz; zerdrückt den Altar;
Zermalmt das Gebein in den Särgen –
Die gotischen Bögen wälzen sich
Donnernd hinab von den Bergen.

Zum Dorfe stürzt sich Turm und Chor
Als wie zu einem Grabe –
Da fährt entsetzt vom Lager empor
Und spricht zur Mutter der Knabe:

„Ach Mutter, mir träumte ein Traum so schwer,
Das hat den Schlaf mir verdorben.
Ach Mutter, mir träumte, soeben wär’
Der liebe Herr Gott gestorben.“

1843/44

 

Konnotation

Ich gehöre zu den ,Lumpenkommunisten‘, welche man so sehr mit Kot bewirft und deren einziges Verbrechen ist, dass sie für Arme und Unterdrückte zu Felde ziehen“, belehrte der kämpferische Publizist und Dichter Georg Weerth (1822–1856) seine Mutter, die den Pfarrerssohn von seinem sozialistischen Weg abbringen wollte. Weerths politische Option stand jedoch fest, nachdem er drei Jahre lang als Buchhalter und Handelskorrespondent im mittelenglischen Bradford das Elend der englischen Arbeiter beobachtet hatte.
In den Jahren in Bradford, von 1843 bis 1846, entstanden auch die „Lieder aus Lancashire“, in denen Weerth kleine lyrische Erzählungen von Armut und Ausbeutung entwarf. Neben den explizit politischen Gedichten steht das balladenhafte Poem vom nächtlichen Orkan, der das Gotteshaus zerschlägt. Das Gedicht erscheint als Generalabrechnung mit dem religiösen Weltbild des Elternhauses: Mit der Kirche stürzt die alte Ordnung ein – Gott wird für tot erklärt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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