GERALD ZSCHORSCH
Dies Deutschland ist ein Land
Dies Deutschland ist ein
Land von Stacheldraht.
An Grenzen, an Häusern,
im Wald, auf Wiesen,
auf Feldern, auf Koppeln,
in Gärten, auf Zäunen,
in Städten, in Menschen.
Überall.
Dies Deutschland ist ein
Land von Stacheldraht.
In Betten, in Seelen,
auf Lippen, durch Augen,
in Mündern, durch das Hirn.
Dies Deutschland ist ein
Land von Stacheldraht.
überall
überall
1976
aus: Gerald Zschorsch: Torhäuser des Glücks, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004
„Mit harter Zunge gesprochene“ Gedichte sind das Markenzeichen des 1951 in Elsterberg im Voigtland geborenen Gerald Zschorsch. Aus dem radikalkommunistischen Träumer, der mit Rudi Dutschke befreundet war und in Heineschen Volksliedstrophen das Elend der deutschen Teilung besang, wurde bald ein illusionsloser Lakoniker, der in harten Fügungen die Gewaltverhältnisse in Ost und West attackierte.
Schon vor der Ausbürgerung Wolf Biermanns hatte man an dem jungen DDR-Dichter ein autoritäres Exempel statuiert und ihn schließlich als „Überzeugungstäter“ in die Bundesrepublik abgeschoben. Eine motivische Konstante seiner Lyrik ist seither das Leiden an der deutschen Geschichte, nicht nur am „Land von Stacheldraht“, sondern auch am fortdauernden „Deutschen Krieg“, der als „Zwitter aus Gier und Schund“ apostrophiert wird. Zschorschs Lied über das „Land aus Stacheldraht“ gehört zu seinen frühesten Gedichten und wurde 1977 in seinen Debütband Glaubt bloß nicht, daß ich traurig bin aufgenommen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar