GERALD ZSCHORSCH
Kindermund
Bin groß geworden in Nöten
die andere für mich durchlitten.
Die Zeit lag brach. In den Öden
haben Starke für mich gestritten.
Die wollten später, daß ich ihnen
den Dank ausspreche dafür.
Und: Leben sei besseres Mimen.
In der Pflicht liege die Kür.
Ja ja. So fällt der Mond in seinen Teich.
Möchte manchmal sein wie ich nie war:
so klein, so rein, so wunderbar
1990
aus: Gerald Zschorsch: Torhäuser des Glücks. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004
Der Chef der DDR-Staatssicherheit Erich Mielke denunzierte den Dichter dereinst höchstpersönlich als „sehr gefährlichen Überzeugungstäter“. Gerald Zschorsch, 1951 als Sohn eines DDR-Diplomaten geboren, wurde bereits als Siebzehnjähriger in einem Jugendgefängnis interniert, weil man seine Ideen eines humanen Sozialismus als offene Rebellion interpretierte. Nach fünf Jahren Haft in der „Kettenburg“ kaufte ihn die Bundesrepublik frei. Seither schreibt Zschorsch Gedichte, die durch eine lakonische Härte und Drastik charakterisiert sind.
Ihre Stärke beziehen Zschorschs traditionell gereimte Gedichte aus ihrer Haltung der radikalen Verweigerung und des konsequenten Außenseitertums. Was er hier dem „Kindermund“ zuschreibt, ist eine Absage nicht nur an die Feinde, die für die Nöte und „Öden“ des Lebens verantwortlich sind, sondern auch an die vermeintlichen Freunde, die Dankbarkeit einfordern. Der Wunsch nach der „wunderbaren“ Kindheit wird übermächtig – dem Dichter Zschorsch war sie nie vergönnt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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