Gottfried Benns Gedicht „Kommt –“

GOTTFRIED BENN

Kommt –

Kommt, reden wir zusammen
wer redet, ist nicht tot,
es züngeln doch die Flammen
schon sehr um unsere Not.

Kommt, sagen wir: die Blauen,
kommt, sagen wir: das Rot,
wir hören, lauschen, schauen,
wer redet, ist nicht tot.

Allein in deiner Wüste,
in deinem Gobigraun –
du einsamst, keine Büste,
kein Zwiespruch, keine Fraun,

und schon so nah den Klippen,
du kennst dein schwaches Boot –
kommt, öffnet doch die Lippen,
wer redet, ist nicht tot.

1955

aus: Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe. In Verb. mit Ilse Benn hrsg. von G. Schuster und H. Hof, Klett-Cotta, Stuttgart 1986

 

Konnotation

Gottfried Benn (1886–1956) hat in seinen Essays stets vom radikal monologischen Charakter der Dichtung gesprochen, vom „absoluten Gedicht, an niemand gerichtet“. Nun vollzieht das Gedicht „Kommt –“ eine überraschende Wendung ins Kommunikative, lockt mit einer Einladung zum Gespräch.
Die schöne Suggestion: „Kommt, reden wir zusammen / wer redet, ist nicht tot“ kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Benn hier sein altes Thema umkreist: die Einsamkeit des schöpferischen Menschen. Die drei verlässlichen Instanzen der Tröstung: der Ruhm („Büste“), die Freundschaft („Zwiespruch“) und die Liebe („Fraun“) haben ihre Wirkungskraft eingebüßt. Im April 1955, als er seine Verse in den von ihm geliebten Kreuzreimen schrieb, hatte Benn seine letzten erotischen Abenteuer und Avancen (mit Ursula Ziebarth und Astrid Claes) wenig ruhmreich beendet. Das Gedicht erschien dann in seinem letzten Band Aprèslude (1955) – ein ergreifendes poetisches Vermächtnis.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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