GOTTLIEB KONRAD PFEFFEL
Fragment einer Kapuzinerpredigt
Ja glaubet mir, ihr meine lieben Brüder,
Ein leerer Traum ist unsers Lebens Lauf.
Gesund und frisch legt ihr des Nachts euch nieder,
Und mausetot steht ihr des Morgens auf.
1779
Seine Zeitgenossen begegneten dem heute vergessenen Fabeldichter und Satiriker Gottlieb Konrad Pfeffel (1736–1809) mit hoher Wertschätzung. „Pfeffel bleibt sich gleich“, so konstatierte anerkennend Friedrich Schillers Ehefrau Chatlette, „bald rührt er, und bald macht es eine Freude, den comischen Zug seines Charakters wieder zu finden, und die feine Satyre.“ Zu den bekanntesten Gedichten des Aufklärers, der nach seiner frühen Erblindung seine Diplomatenlaufbahn abbrechen musste, gehört die 1779 entstandene Weisheit einer „Kapuzinerpredigt“.
Als „gemäßigte Eremiten“ innerhalb des Franziskanerordens bekannten sich die Kapuziner im 16. Jahrhundert zu einem tätigen Armutsideal, das sich im Engagement für Obdachlose und Notleidende manifestierte. Von ihrer Vorliebe für dramatische Bußpredigten leitet sich der Ausdruck „Kapuzinerpredigt“ ab. Pfeffels „Fragment“ verbindet barocke Motive – die Rede vom „leeren Traum“ des Lebens – mit einer sarkastischen Kommentierung der Vergänglichkeitserfahrung und auch des Bußprediger-Gestus.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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