GÜNTER BRUNO FUCHS
Dies ist die erste Zeile
Dies ist die erste Zeile.
Mit der zweiten beginnt mein Gedicht zu wachsen.
Wenn ich so weitermache, komme ich bald an den Schluß.
Die vierte Zeile hilft mir dabei. (Schönen Dank, vierte Zeile!)
Der Gerichtsvollzieher, sage ich noch, trägt seine Eier ins Kuckucksnest.
So, ich hab meine Arbeit getan und lege mich schlafen.
1964
aus: Die Meisengeige. Nonsensverse. Hrsg. von Günter Bruno Fuchs. Hanser Literaturverlag, München 1964
Den feierlichen Ton, dem so viele seiner poetischen Zeitgenossen huldigten, hat diesen Dichter radikal ernüchtert. Während sich die westdeutsche Nachkriegsdichtung noch in das weihevolle Bewispern von Naturgeheimnissen und antiken Mythologien flüchtete, holte sie der Berliner Malerpoet Günter Bruno Fuchs (1928–1977) ins Profane zurück. Als „freischaffender Trinker“ entwarf er „Pennergesänge“, zu Helden seiner Gedichte machte er Bahnwärter, Degenschlucker, Tierstimmenimitatoren oder die Bremer Stadtmusikanten.
1964 regte Fuchs 66 deutsche Lyriker zur Produktion von „Nonsensversen“ an. Den schalkhaften Maskenspieler verkörperte Fuchs aber selbst am besten. Auf das poetologische Kauderwelsch seiner Kollegen und auf deren stolzen Hinweis auf die „Selbstreflexion“ des Gedichts antwortete Fuchs mit einer heiteren Banalisierung des Schreibprozesses. Zeile für Zeile feiert sein Gedicht seine eigene mühelose Entstehung und sein Verfasser darf nach vollbrachter Arbeit schlafen gehen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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