Günter Bruno Fuchs’ Gedicht „Untergang“

GÜNTER BRUNO FUCHS

Untergang

Der Regen arbeitet.
Die Straßenfeger sind arbeitslos.
Die arbeitslosen Straßenfeger sind heimgekehrt.

Die Bäume dursten nicht mehr.
Die Schulhofbäume dursten nicht mehr.
Die überraschten Lehrer beenden die Konferenz
und schwimmen zum Tor hinaus.

Der Regen arbeitet.
Papierne Zeitungstürme neigen sich lautlos.
Rote Schlagzeilen färben das Wasser rot.

Das Kind armer Eltern schläft in der Kohlenkiste.
Das Kind reicher Eltern schläft im Himmelbett.
Die armen und reichen Eltern
hören den Regen nicht.

Die überraschten Lehrer
hocken ratlos im Geäst der Bäume.
Die große Pause kommt unerwartet.

nach 1960

aus: Günter Bruno Fuchs: Pennergesang. Hanser Literaturverlag, München 1965

 

Konnotation

Der in kleinen Verhältnissen aufgewachsene Günter Bruno Fuchs (1928–1977) war als Grafiker und Schriftsteller eine Doppelbegabung. In der Nachkriegszeit studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin und gründete dort 1958 gemeinsam mit einigen anderen Künstlern die Hinterhofgalerie Zinke. Fuchs blieb zeitlebens ein literarischer Außenseiter. Ein skurriler Bürgerschreck, dem alle snobistische Selbstzufriedenheit fremd war, und der gern über Kinder, Parkwächter und Straßenfeger schrieb.
Das Gedicht erzählt auf spielerisch-leichte Art davon, dass Katastrophen sich nicht vorhersagen lassen. Sie kommen immer unerwartet, und die, die vorher alles genau wußten, hocken ratlos in den Bäumen, wenn das Unvermeidliche einmal geschehen ist. Ob arm oder reich, keiner will dem Untergang wirklich ins Auge blicken. In der großen Pause wird alles, was vorher noch gegolten hat, außer Kraft gesetzt. Der Mensch sollte sich besinnen, doch zieht er nur selten Schlüsse aus seinen negativen Erfahrungen.

Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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