Guntram Vespers Gedicht „Bericht“

GUNTRAM VESPER

Bericht

Damals verschwand das
Brot aus den Bäckereien

aus den Straßen
verschwanden die Männer.

Steppensommer zerbrach
verschlossene Türen
an den Knüppeldämmen
starrte das Blutauge, bei

jedem Holzturm wuchsen
Flecken im Schnee
rosteten Metallscherben.

In die Trommel der Nacht fallen
die Wälder vom
Lärm der Gewehre.

1970er Jahre

aus: Guntram Vesper: Landeinwärts. Gedichte und Prosa. Reclam Verlag, Stuttgart 1994

 

Konnotation

Der Schriftsteller, Zeichner und Privatgelehrte Guntram Vesper, 1941 in der Kleinstadt Frohburg geboren, ist in einer kargen Landschaft am Rand der sächsischen Braunkohlewüsten aufgewachsen, die in seinen Gedichten immer wieder sichtbar wird. Im Alter von 16 Jahren kam er mit der Familie in die Bundesrepublik, arbeitete auf einem Bauernhof und im hessischen Braunkohlebergbau, studierte und entschied sich schon bald für ein Leben als freier Schriftsteller.
Mit dem Sachlichkeit vermittelnden Titel „Bericht“ wird eine Distanz geschaffen, die zu den geschilderten Schrecken in krassem Gegensatz steht; aber wohl nur, um diese erträglicher zu machen. Die düstere Metaphorik des Gedichts verweist auf Zeiten des Krieges, als „das Brot aus den Bäckereien“ und die „Männer aus den Straßen“ verschwanden – weil sie eingezogen wurden. Die „Flecken im Schnee“ sind mit einiger Sicherheit Blutflecken und die rostenden Metallscherben Granatsplitter. Das Resümee fällt bedrückend aus: alles versinkt im „Lärm der Gewehre“ und in der „Trommel der Nacht“, die sich über diesen kriegsgeplagten Landstrich senkt.

Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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