HANS CARL ARTMANN
mit einem jahr ein kind
mit einem jahr ein kind,
mit zweien jahr ein jüngling,
mit dreien jahr ein mann,
mit vier jahr wohlgetan.
mit fünfen geht es auch noch an,
mit sechsen rückt das alter an.
mit sieben jahr ein greis,
mit acht jahr schneeweiß,
mit neun jahr leucht das morgenrot,
mit zehen jahr, ja grüß dich gott!
1967
aus: H.C. Artmann: Sämtliche Gedichte, hrsg. von Klaus Reichert, Verlag Jung & Jung, Salzburg 2003
Hans Carl Artmann (1921–2000) war der begabteste und eigensinnigste Sprach-Abenteurer der Wiener Gruppe. Er nutzte die Trivialformen der Dichtung als lyrische Fundgrube, er entdeckte die poetischen Reize von Schauerromanen, Detektivheftchen und Comics, die Welt des Schlagers und der Fernsehserien, Kinderreime und Moritaten – und fertigte in seiner alchemistischen Sprachwerkstatt daraus surreale und skurrile Verse.
Zu Artmanns schönsten Stücken gehört das als naiver Abzählvers maskierte Lebensbildnis des Menschen aus dem Jahr 1967, das vom Wundersamen des Daseins so beiläufig-kindlich spricht, als ginge es nicht um die Fundamente der Existenz, sondern nur um ein Kinderspiel. Selbst die Gottesfrage wird hinter einem spielerischen Gestus versteckt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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