HANS THILL
Strandgut
Ich bin die schaumgeborene Sandale,
ich bin ein Splitter des Balkens!
Schwarz, verschimmelt Sonn und Mond.
Ich bin ein Fischkopf,
ich bin ein Fels.
1980er Jahre
aus: Hans Thill: Gelächter Sirenen. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1985
Der Schwung der surrealistischen Bewegung der 1920er Jahre bildete die Antriebsmotorik für die frühen Gedichte des Lyrikers Hans Thill (geb. 1954). Als poetische Leitgestirne seiner Arbeit fungierten zunächst Autoren wie Yvan Goll (1891–1950) und Philippe Soupault (1897–1990), deren Poetik des automatischen Schreibens und der kühnen metaphorischen Überraschung Thill erfolgreich adoptierte.
Den dezidierten Bezug auf funktionsloses „Strandgut“, also auf alltägliche Realien, die dem instrumentellen Gebrauch entzogen sind, darf man als programmatische Pointe verstehen. Denn selbst aus alltäglichsten, überflüssig scheinenden Materialien vermag der Dichter, und zwar nicht nur der surrealistische, seine Stoffe zu komponieren. Statt eine Eloge auf das Meer oder auf das Licht des Südens zu singen, wie es viele Lyriker der Moderne getan haben, konzentriert sich Thill auf das scheinbar Ephemere – den Abfall. Aber er lässt die funktionslos gewordenen Dinge durch hymnische Auratisierung aufleuchten.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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