HEINRICH HEINE
Das Fräulein stand am Meere
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
um 1852
Es ist ein spöttisches Chanson, eine witzige Parodie, die sich gegen die Elemente sentimentaler Naturpoesie richtet – letztlich ein „Schlager von Klasse“, wie ihn ein Jahrhundert später Gottfried Benn als Grundlage modernen Dichtens anpries. Das Liedchen vom „Fräulein am Meere“ stammt aus dem Zyklus „Seraphine“, den Heinrich Heine (1797–1856) um 1852 geschrieben hat und in dem er noch einmal verschiedene Tonlagen und Techniken seiner Lyrik durchspielte.
Die Versatzstücke biedermeierlicher Stimmungs- und Naturpoesie werden hier als Staffage genutzt: das Meer, der Sonnenuntergang, das seufzende Fräulein und die Rührung – das scheint alles aus dem Bestand an überstrapazierten Klischees zu stammen. Der Leierkastenton der beiden Strophen ist ironisch eingesetzt – gleichzeitig kann man die eingängige Melodie des Textes durchaus zustimmend genießen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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