HEINRICH HEINE
Weltlauf
Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazu bekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.
Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben –
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.
1851
Heinrich Heine (1797–1856) geizte als Dichter nicht mit eindeutigen politischen Botschaften. Zwar hat er den Typus des vorlauten politischen Dichters ironisiert, aber die zwei Revolutionen zu seiner Lebenszeit freudig begrüßt. Sein nach 1846 entstandener Achtzeiler „Weltlauf“ eröffnet das zweite Buch seiner 1851 publizierten Romanzero-Dichtung – und liest sich wie ein kleines sozialistisches Manifest.
Hier wird in denkbar knapper Form das Alphabet des Antikapitalismus durchbuchstabiert: Die Reichen können ihre ungeheuren Besitztümer weiter akkumulieren, den Armen wird das Existenzrecht genommen. Nur mit Hilfe des Eigentums kann man in der bürgerlichen Gesellschaft Erfolg haben. Bündiger und lakonischer als Heine kann man die Folgen von Globalisierung und Turbokapitalismus auch im 21. Jahrhundert nicht zusammenfassen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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