HEINRICH HEINE
Wir haben viel füreinander gefühlt
Wir haben viel füreinander gefühlt,
Und dennoch uns ganz vortrefflich vertragen.
Wir haben oft „Mann und Frau“ gespielt,
Und dennoch uns nicht gerauft und geschlagen,
Wir haben zusammen gejauchzt und gescherzt,
Und zärtlich uns geküßt und geherzt.
Wir haben am Ende, aus kindischer Lust,
„Verstecken“ gespielt in Wäldern und Gründen,
Und haben uns so zu verstecken gewußt,
Daß wir uns nimmermehr wiederfinden.
1822/23
Wer kann eine Liebesgeschichte und ihr Scheitern in zehn Gedichtzeilen erzählen, und zwar in liedhafter Form und suggestiver Kürze? Diese Kunst beherrschen nur ganz große Meister wie Heinrich Heine (1797–1856), der in einem besonders lapidaren Text aus dem 1822/23 entstandenen „Lyrischen Intermezzo“ als Passion und Maskenspiel dargestellt hat.
Die Bilanz dieser Liebe scheint zunächst recht günstig auszufallen: Denn Gefühle haben die Liebes-Kontrahenten reichlich ausgetauscht und auch die Leidenschaften in ein „vortreffliches“ Rollenspiel umgesetzt. Aber da bleibt eine Distanz, die auch durch die Übererfüllung bestimmter Verhaltensmuster als „Mann und Frau“ nicht überwunden werden kann. Die letzten vier Zeilen berichten dann vom Schiffbruch des Eros und der Entfremdung der Partner. Das Buch der Lieder (1827), in dem die Texte des „Lyrischen Intermezzos“ stehen, enthält noch weitere exemplarische Fallgeschichten des Liebesunglücks.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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