Heinz Erhardts Gedicht „Depressionen“

HEINZ ERHARDT

Depressionen

Gestern war ich noch so fröhlich,
heute hat es sich gegeben.
Gestern schlug ich Purzelbäume,
heute will ich nicht mehr leben.

Solch ein Zustand ist entsetzlich,
mich und meine Umwelt quäl’ ich;
doch er dauert nicht sehr lange:
morgen bin ich wieder fröhlich!

1960er Jahre

aus: Das große Heinz Erhardt-Buch, Lappan Verlag, Oldenburg 2000

 

Konnotation

Es ist in der Regel nicht möglich, aus der Hölle einer Depression durch reine Willenskraft zu entkommen. Daher erscheint die Vorsätzlichkeit, mit der das Ich im Gedicht des großen Komikers Heinz Erhardt (1909–1979) die Depression abzuschütteln gedenkt, sehr aufgesetzt, ja gezwungen.
Aber so lebenszugewandt und problemfrei, wie Erhardt bei seinen Auftritten wirkte, war doch sein Leben doch von großen Verlassenheitsängsten geprägt. Seine Eltern trennten sich früh, er selbst wuchs bei seinen Großeltern auf. Seinen Geburtsort Riga musste er verlassen, um Geld für seine junge Familie zu verdienen, die jahrelang nicht wusste, wie sie überhaupt das tägliche Essen finanzieren sollte. Weil er im Kindesalter nicht erfüllbar war, dürfte der Wunsch, geliebt zu werden, später übergroß geworden sein.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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