Hellmuth Opitz’ Gedicht „Schöner scheitern kann man“

HELLMUTH OPITZ

Schöner scheitern kann man
nicht, als der Regen an dem
Licht dieses Sommermorgens.
Da schwärmen Blicke aus, da
wollen die Finger raus in den
Garten unter der Bluse, wo
die Himbeeren leuchtend stehn.
Und hast du nicht gesehn, sind
sie gepflückt, die Dinger und die
Finger fliegen weiter hinunter
die Leiter unterm straff gespannten
Stoff des Himmels, doch an der
finstersten Ecke, kurz vor der
dunkelblonden Hecke, erwischt sie
ein geflüstertes Nein. Was bleibt,
ist Atemlosigkeit und weiches
Nackenhaar, dazu ein glühendes
Gesicht. Nein, schöner scheitern
kann man nicht.

2006

aus: Hellmuth Opitz: Die Sekunden vor Augenaufschlag. Pendragon Verlag, Bielefeld 2006

 

Konnotation

Die alte horazische Sentenz „Nutze den Tag!“ stand wohlmöglich Pate für die Gelassenheit, mit der hier der Sprecher dieses Gedichts das Scheitern seiner amourösen Avancen hinnimmt. Beschrieben wird eine erotisch aufgeladene Idylle, ein Paar beim Versuch des Anbandelns. Genial ist dabei die Verschränkung der Gartenlandschaft mit den Körpern der beiden scheiternden Liebenden. Opitz löst die Realitätsbeschreibung soweit auf dass nurmehr Bildfetzen auf das Vorspiel der beiden hinweisen.
Wie in einem Daumenkino lösen sich die Bilder schrittweise ab, die Verschränkung gleichzeitiger Sinneseindrücke von Körpern und Gegenständen erzeugt Metaphern weitab von kalter Erotik. Die „Leiter unterm straff gespannten Stoff des Himmels“ ist dabei nur eine von vielen deutlichen sexuellen Anspielungen. Aufschlussreich ist der Schluss, der das Scheitern des Liebesabenteuers im Grunde dementiert.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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