Henning Ahrens’ Gedicht „Spalt“

HENNING AHRENS

Spalt

Nebenan fauchte der Wasserkessel,
da lagen wir auf den Wohnzimmerdielen,
schweigend und halb bekleidet, ein jeder
im Arm des andern geborgen.

Ich wollte ihr sagen, dass alles stimmte:
Die Haut, die Hand, das Herbstlicht draußen
es fiel in den Raum in allen Farben,
nicht grau, wie man erwartet hätte –,

doch meine Wörter versanken im warmen
Spalt, der zwischen den Körpern klaffte.
Auf blauer Flamme verkochte das Wasser,
das Kesselblech begann zu singen,

da lagen wir still und warteten lange
darauf, dass einer eine Brücke baute.

2006/2007

aus: Henning Ahrens: Kein Schlaf in Sicht. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2008

 

Konnotation

Als ein auf dem Dorf aufgewachsener Bauernsohn musste der Dichter Henning Ahrens, 1964 in der Nähe von Peine geboren, nicht lange nach seinen Themen suchen. Kindheit und Jugend auf dem Land, die Arbeit auf den Feldern der Umgebung waren Erfahrungen, die er seit seinem Debütband Lieblied was kommt (1998) in Poesie ummünzen konnte. Manche seiner Gedichte sind eine Art lyrische Glossen, satirisch, selbstironisch und tief durchtränkt von der Alltagswirklichkeit des Dichters.
Ein Paar liegt, Arm in Arm und „halb bekleidet“ auf den Wohnzimmerdielen. Es ist scheinbar alles in Ordnung, doch gibt es da den merkwürdigen „Spalt“, der „zwischen den Körpern klaffte“. Während im Kessel das Wasser allmählich verkocht, liegen die vermeintlich Liebenden still und warten. Worauf? Darauf, „daß einer eine Brücke baute“. Von der Schwierigkeit des sogenannten „ersten Schritts“ erzählt uns dieses Gedicht, das, im Gegensatz zu seinen Protagonisten, auf direkte Weise eine recht verzwickte Situation beschreibt.

Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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