HERMANN HESSE
Armer Teufel am Morgen nach dem Maskenball
Ich hab kein Glück. Zuerst war alles gut,
Sie saß auf meinem Knie und war ganz Glut,
Dann ist sie mit dem Pierrot fortgelaufen,
Und ich, vor Wut, fing wieder an zu saufen.
Jetzt hab ich ein paar Tischchen umgerissen
Und habe dieses Loch am Knie gekriegt
Und hab kein Geld mehr, und die Brille ist zerschmissen –
Jawohl, du Teufelsweib, ich bin besiegt.
Und außer all der andern Schweinerei
Erst noch ein mehr als elendes Gewissen!
Ach wäre dieser Sonntag schon vorbei
Und ich und du und dieses ganze Leben!
Ich höre auf, ich muß mich übergeben.
1925/26
aus: Hermann Hesse: Die Gedichte, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1992
Über die Qualitäten Hermann Hesses (1885–1962) als Lyriker wird noch immer gestritten. Hesse hat über 1.600 Gedichte in volksliedhaften Formen geschrieben, die sich an klassisch-romantischen Traditionen orientieren. Lyrische Meditationen, Erlebnis- und Stimmungsgedichte verbinden sich mit mitunter betulichen Spruchweisheiten. Weniger bekannt sind die sogenannten „Krisis-Gedichte“.
Um 1925/26 hat Hesse eine Reihe von Gedichten geschrieben, die von einer tiefen psychischen Krise zeugen und motivisch unmittelbar Eingang gefunden haben in seinen Steppenwolf-Roman. Die Verstörungen der Romanfigur Harry Haller werden vorweg genommen in den deprimierenden Erfahrungen des lyrischen Ich. Trunkenheit, Entgrenzung, Liebesenttäuschung und Depression nach dem Maskenball – all diese Erlebnisse teilt das lyrische Ich mit dem Steppenwolf.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar