HERTHA KRÄFTNER
Abends
Er schlug nach ihr. Da wurde ihr Gesicht
sehr schmal und farblos wie erstarrter Brei.
Er hätte gern ihr Hirn gesehn. – Das Licht
blieb grell. Ein Hund lief draußen laut vorbei.
Sie dachte nicht an Schuld und Schmerz und nicht
an die Verzeihung. Sie dachte keine Klage.
Sie fühlte nur den Schlag vom nächsten Tage
voraus. Und sie begriff auch diesen nicht.
1950/51
aus: Hertha Kräftner: Kühle Sterne. Gedichte, Prosa, Briefe, Wieser Verlag, Klagenfurt 1997
„Wenn ich mich getötet haben werde…“: Mit diesen Worten beginnt ein im März 1951 geschriebener Prosatext der Wiener Dichterin Hertha Kräftner (1928–1951), der das Schicksal, das die Autorin über sich verhängt, unwiderruflich besiegelt. Ein paar Monate später nahm sie sich mit dem Schlafmittel Veronal das Leben. Dass diesem Suizid furchtbare seelische Traumatisierungen vorausgingen, zeigt das erschütternde Gedicht „Abends“, das 1950/51 entstand.
Finsterer und mitleidloser ist die Geschichte einer tragisch gescheiterten Liebe wohl nie lyrisch evoziert worden. Wer solche Gedichte schreibt, kann Wege in eine hellere Zukunft kaum mehr finden. Auch die immer überstürzter begonnenen und beendeten Liebesaffären konnten die Dichterin vor ihren Depressionen nicht mehr schützen. Selbst der 1950 einsetzende schriftstellerische Erfolg konnte die Autorin von ihrem Weg in die Finsternis nicht abbringen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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