HILDE DOMIN
Köln
Die versunkene Stadt
für mich
allein
versunken.
Ich schwimme
in diesen Straßen.
Andere gehn.
Die alten Häuser
haben neue große Türen
aus Glas.
Die Toten und ich
wir schwimmen
durch die neuen Türen
unserer alten Häuser.
1962/63
Eine Stadt ist versunken für immer, untergegangen wie die sagenhaften Städte Vineta und Atlantis in den Fluten des Meeres. Bevor die Dichterin Hilde Domin (1907–2006) nach Heidelberg kam und dort 1961 nach einer „linguistischen Odyssee“ um den halben Erdball Wurzeln schlug, hat sie Köln, die Stadt ihrer Kindheit, versinken sehen: zuerst durch die Pogrome der Nationalsozialisten, später durch die alliierten Bomberflotten. In den Traumbildern des Gedichts erscheint dieser Untergang als große Flut.
Hilde Domins Vater, ein jüdischer Rechtsanwalt, musste mit seiner Frau über die belgische Grenze fliehen, nachdem man jüdische Intellektuelle zur Demütigung auf Lastwagen durch Köln gekarrt hatte. Hilde Domin selbst ging schon 1932 nach Italien ins Exil und gelangte erst später mit ihrem Mann Erwin Walter Palm (1910–1988) in die Dominikanische Republik. Aber den verlorenen Ort ihrer glücklichen Kindheit, der im Gedicht fluid geworden ist und in dem man sich nur noch schwimmend fortbewegen kann, hat sie nie vergessen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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