HUGO DITTBERNER
Mondgeheul
Der Mond überm Wasser wird immer teurer,
wenn er morgens auch da hängen soll.
Anlieger schäkern mit unserm Horizont
und retten sich an die leuchtende Linie.
Andererseits, auf jener einsamen Insel
wissen noch alle, was Liebende wissen.
Sie sammeln versunken den kühlenden Tau
und legen sich dann erst schlafen.
nach 1990
aus: Hugo Dittberner: Das letzte fliegende Weiß. Verlag Palmenpresse, Köln 1994
Hugo Dittberners Gedichte können mit einem unvermittelten Satz beginnen, wie aus einem Gespräch aufgeschnappt, im ICE oder an einem Tisch im Restaurant. Der 1944 in Gieboldehausen geborene Lyriker ist, wiewohl promoviert, kein theoretisierender Poetologe. Dafür interessiert ihn das Alltägliche zu sehr: der – genau bezeichnete – Zweig, auf dem die Nachtigall singt, der Briefträger und die weißen Sommerwölkchen nach der Einfahrt des Zuges. Dittberner schafft in seinen Gedichten Momentaufnahmen von großer Wahrnehmungskraft. Beinahe lässig kommen manche Zeilen daher – und sind doch mit Bedacht komponiert.
Das „Mondgeheul“ besteht aus zwei Strophen, die sich wie These und Antithese zueinander verhalten. Der Mond in der ersten Strophe muß nur herhalten für das die alles in einen Geldwert umrechnen wollen. In der zweiten Strophe wird dem die Liebe entgegengesetzt, die es freilich nur auf jener berühmten „einsamen Insel“ gibt. Nicht der erhitzte Börsenindex, sondern der „kühlende Tau“ gilt den Bewohnern hier als bare Münze.
Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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