Reklame
Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille
eintritt
1956
aus: Ingeborg Bachmann: Werke Bd. 1, hrsg. von Christine Koschel u.a., PiperVerlag, München 1978
Alles ist suggestive Einflüsterung in diesem Gedicht. Nicht nur die „positive thinking“-Formeln der Werbeindustrie, die in Ingeborg Bachmanns (1926–1973) berühmtem Gedicht „Reklame“ auf die Fragen nach der Vergänglichkeit des Menschen antworten.
Die gängige Lesart des Textes glaubt, dass in der Wechselrede von Frage und Antwort klare Polaritäten herrschen: Die Existenz-Fragen benennen die existenzielle Unsicherheit, die aus der Gewissheit unserer Endlichkeit entspringt – die kursivierten Antworten der „Reklame“ repräsentieren dagegen nur den Bereich der Illusion und Lüge. Aber sind die philosophischen Essentialien vierzig Jahre nach Entstehung des Gedichts (1956) nicht selbst in den Bannkreis der Werbesprache geraten? Das Gedicht selbst bleibt ein faszinierender Text, von dem Beunruhigung ausgeht: Denn weiterhin läuft die Frage nach dem Dasein und der drohenden Dunkelheit auf die „Totenstille“ zu. Aber kann man aus der Litanei der Werbesprache noch aussteigen?
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar