JESSE THOOR
In der Fremde
Ist es so auf Erden?
Bin in die Welt gegangen.
Habe mancherlei angefangen.
Aber die Leute lachten.
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Auf dem Felde gegraben.
Einen Wagen gezogen.
Einen Zaun gerade gestellt.
Tür und Fenster gestrichen.
Warme Kleider genäht.
Hölzerne Truhe gezimmert.
Feine Stoffe gewoben.
Goldenes Ringlein geschmiedet.
Was soll nun werden?
Werde nach Hause wandern,
und barfuß ankommen.
nach 1949
aus: Jesse Thoor: Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2005
Alle Wege des Dichters Jesse Thoor (1905–1952), der eigentlich Peter Karl Höfler hieß, führten in die Fremde. Der Sohn eines steirischen Tischlers verfügte über verblüffend viele Begabungen – aber seine größten Leistungen gelangen ihm als Poet. Früh begann der Dichter und Kunsthandwerker ein unstetes Wanderleben. Auf der Flucht vor der Gestapo irrlichterte der anarchistisch inspirierte Dichter durch halb Europa. In einer Taurolle versteckt, gelangt er als blinder Passagier nach Spanien, arbeitete als Heizer auf Küstenschiffen und zog als Vagabund durch Norditalien und Ungarn.
Alle seine Fertigkeiten hat Thoor in seinem nach 1949 entstandenen Gedicht aufgerufen: er versuchte sich als Tischler, als Goldschmied, als Gelegenheitsarbeiter in der Landwirtschaft. Vor allem aber trieb es ihn zu immer neuen Zielen – nur das Ankommen zu Hause gelang ihm nie. Der an einer schweren Herzthrombose laborierende Poet starb 1952 bei einer Bergtour.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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