JOACHIM RINGELNATZ
Im dunklen Erdteil Afrika
Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika.
Sie wurde mit Musik begraben.
Am Grabe sassen zwanzig Raben.
Der Rabe Num’ro einundzwanzig
Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig
Und gründete dort etwas später
Ein Heim für kinderlose Väter.
Und die Moral von der Geschicht? –
Die weiss ich leider selber nicht.
1912
„Ich bin ein uralt Kind“, hat der Dichter, Maler, Reimvirtuose und Kabarettist Joachim Ringelnatz (1883–1934) in einem seiner späten Gedichte notiert. Und dieser Kindlichkeit verdanken wir einige herrlich kauzige, sich in der Lust am reinen Nonsens ergehende Gedichte, die der Lust am paradoxen Wortspiel frönen. 1912 deklarierte Ringelnatz seinen Band Die Schnupftabakdose als „Stumpfsinn in Versen“.
Die Moritat von der Ziehharmonika und den Raben als Trauergästen steht im Kontext äußerst wundersamer Abhandlungen über die Schicksale von Wanderratten, Kragenknöpfen, Droschkenpferde und Quallen. Weil Ringelnatz sich aber nicht auf das Dasein als skurriler Nonsens-Poet festlegen ließ, sondern immer auch melancholische, nihilistische und ketzerisch-renitente Verse schrieb, setzten ihn die Nationalsozialisten auf ihre „Schwarze Liste“. So wurden seine Texte am 10. Mai 1933 als „Schmutz und Schund“ auf den großen Bücher-Scheiterhaufen der Nazis verbrannt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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