Johann Lippets Gedicht „Verhüllungskünstler“

JOHANN LIPPET

Verhüllungskünstler

Muss nicht in den Himmel sehen,
wo die schwarzen Wolken gehen,
denn es dunkelt im grünen Laubdach
des Baums vor meinem geöffneten Fenster.
Blieben wir doch von Regen und Hagel verschont,
denn in der linken oberen Ecke des Zimmers
blüht grauer Schimmel mal wieder,
blau-rot draußen im Garten der Flieder.

Hingehaucht den Wunsch die Daunenfeder in sanftem Flug
Fehlfarbe in der Baumkrone Wolkendach wohin es sie trug

2009

aus: Johann Lippet: Im Garten von Edenkoben. Lyrikedition 2000, München 2009

 

Konnotation

Johann Lippet, 1951 in Wels/Österreich geboren, war einer der Gründer der legendären Aktionsgruppe Banat, einer Schriftstellervereinigung in Rumänien, die später vom Geheimdienst Securitate aufgelöst wurde. Den Erinnerungsbildern und Erfahrungen seiner Kindheit im Banat ist Lippet, ein Archäologe des Verlorenen, in vielen seiner Prosatexte und Gedichte, etwa im „Banater Alphabet“, nachgegangen. Lippet arbeitete als Lehrer und als Dramaturg am Deutschen Staatstheater Temeswar, 1987 reiste er in die Bundesrepublik aus und lebt seither in der Nähe von Heidelberg.
Der Blick des lyrischen Ich geht in diesem Gedicht weg von den schwarzen Wolken zu dem „grünen Laubdach“ eines Baumes vorm Fenster, das geöffnet ist. Das Haus scheint nicht im allerbesten Zustand zu sein, der Blick geht nach draußen, zu dem blaurot blühenden Flieder. Der Flug der Feder kann als eine Verheißung gelesen werden, dass der Verhüllungskünstler sich nicht mehr länger verhüllen muß. Er möchte fortgetragen werde ins Offene, das für Lippet sicher auch bedeutet: in eine freiere Gesellschaft als die rumänische unter Nicolae Ceauşescu.

Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00