JOHANNES KÜHN
Mein Dogma
Ich hatte nie Glück.
Ich habe keins.
Und ich werde keins haben.
Ich habe genug erlebt, daß ich dies Dogma bau,
da bin ich mein eigener Papst.
Zehn rote Bälle
wirft einer mir zu, alle,
die ich fangen will,
mißraten an meiner Hand vorbei.
Komm ich
unter den früchteregnenden Nußbaum im Herbst,
hört er auf mit dem Nüsseklopfen.
Öffne ich eine von denen, die liegen,
außen wie schön diese Nüsse,
stinkt ihr Inhalt.
1992
aus: Johannes Kühn: Gelehnt an Luft. Gedichte. Hrsg. von Irmgard und Benno Rech. Carl Hanser Verlag, München 1992
Die dunkle Grundmelodie seines Lebens fand der 1934 geborene Dichter Johannes Kühn in den Texten der großen Schwermütigen, Verzweifelten und Umnachteten. Schon den „Geburtstagszufall“, wie Georg Trakl an einem der ersten Februartage zur Welt gekommen zu sein, hat er zum „Omen“ erklärt. In seinen Gedichten präsentiert er sich als „Winkelgast“, als Mann mit dem „Narrenhut“ oder als „Elendsesel“, der mit kindlich-anmutigem Blick das große Welttheater beobachtet.
Als zum Unglück prädisponierter Leidensmann mit „Kummerfalten“ tritt uns Kühn schon in diesen frühesten Texten entgegen. „Eine Glückshaut wuchs nie an mir“, heißt es in einem motivverwandten Gedicht, das den 1992 erstmals veröffentlichten „Dogma“-Text präludiert. Das unglückliche Bewusstsein hat sich in den Dichter eingebrannt – im Leben blüht ihm nur Ungeschick und ein fast schon groteskes Scheitern.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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