Justinus Kerners Gedicht „Wer machte dich so krank?“

JUSTINUS KERNER

Wer machte dich so krank?

Daß du so krank geworden,
Wer hat es denn gemacht? –
Kein kühler Hauch aus Norden
Und keine Sternennacht.

Kein Schatten unter Bäumen,
Nicht Glut des Sonnenstrahls,
Kein Schlummer und kein Träumen
Im Blütenbett des Tals.

Kein Trunk vom Felsensteine,
Kein Wein aus vollem Glas,
Der Baumesfrüchte keine,
Nicht Blume und nicht Gras.

Daß ich trag’ Todeswunden
Das ist der Menschen Tun;
Natur ließ mich gesunden,
Sie lassen mich nicht ruhn.

nach 1830

 

Konnotation

Justinus Kerner (1786–1862) bildete gemeinsam mit Ludwig Uhland den Kern der Schwäbischen Dichterschule, einen losen Zusammenschluss von Dichtern, die einander in der Universitätsstadt Tübingen begegneten und dem auch Eduard Mörike nahestand. Eine weitere Passion des Dichters waren die sogenannten „Klecksographien“, die Kerner zum künstlerischen Vergnügen anfertigte: Tintenkleckse auf Papier, die durch Falten zu abstrakten Zeichnungen wurden, die Vorläufer des Rohrschachtests.
Das Gedicht beschreibt einen quälenden Zustand, aus dem kein Entkommen möglich zu sein scheint. Der biographische Hintergrund hierzu ließe sich in einer beinah tödlichen Erkrankung von Kerners Ehefrau Friedericke entdecken. Gedichtintern ist allerdings mit dem Stupor, der Natur nicht mehr wahrnehmen lässt, der Tod bereits vorweggenommen. Das Treiben der Menschen, so demonstriert die vierte Strophe, hat diese depressive Starre erzeugt.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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