KARL KROLOW
Reste des Lebens
Täglich um mich die Reste
des Lebens, das meines war.
Leben mit Lebensgefahr.
Ich versuche, das Beste
aus seinen Scherben zu machen
mach eher das Schlechteste draus.
Lang schon verging mir ein Lachen.
Wie lange hält man noch aus?
Was von mir übrig geblieben,
erbärmlich genug, was ich treibe.
Oder ist’s übertrieben?
Die Zeit verweht mir: ich schreibe.
nach 1980
aus: Karl Krolow: Gesammelte Gedichte 4. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1997
Dass das Leben in Scherben zerspringt und nur noch Reste eines zuvor als sinnvoll erfahrenen Daseins zu besichtigen sind: Diese fatalistische Empfindung gehört nicht nur zur Grundausstattung moderner Lyrik, sondern zu den thematischen Konstituenten aller Dichtkunst seit dem Barock. Im üppigen Alterswerk des Dichters Karl Krolow (1915–1999) bildet diese Beschwörung des Lebens-Rests die lapidare Grundmelodie aller Gedichte.
Die lakonische Härte, die sich Krolow in seinen späten Gedichten erarbeitet, kommt sehr gut in den wie beiläufig geformten Kreuzreimen zur Geltung. War die von Krolow gewählte Volksliedstrophe dereinst die bevorzugte Form für romantische, von Seelenschmerz und Sehnsucht erfüllte Gedichte, so ist sie nun bei Krolow das Grundgerüst für eine existenziell unerbittliche, unversöhnliche, von der Abweisung jedes Glücksanspruchs geprägte Poesie.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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