Klabunds Gedicht „Ironische Landschaft“

KLABUND

Ironische Landschaft

Gleich einem Zuge grau zerlumpter Strolche
Bedrohlich schwankend wie betrunkne Särge
Gehn Abendwolken über jene Berge,
In ihren Lumpen blitzen rote Sonnendolche.

Da wächst, ein schwarzer Bauch, aus dem Gelände
Der Landgendarm, daß er der Ordnung sich beflisse,
Und scheucht mit einem bösen Schütteln seiner Hände
Die Abendwolkenstrolche fort ins Ungewisse.

1915

 

Konnotation

Der fieberhaft arbeitende Dichter und Bänkelsänger Klabund (1890–1928) beherrschte die unterschiedlichsten Tonarten: das leichthändig hingeworfene Chanson ebenso wie die frivole Ballade oder auch die grelle expressionistische Abendszene. Klabunds Beschleunigung der Poesie war seiner Gewissheit geschuldet, dass ihm, dem lungenkranken Poeten, wenig Zeit zur Vollkommenheit bleiben würde. Das bei seinen expressionistischen Dichterkollegen in pathetischem Ernst verwendete Motiv der dämonischen Großstadt setzte er spielerisch ein.
Die fratzenhafte und bedrohliche Naturerscheinung verwandelt sich rasch in eine ironische Groteske, wenn unvermittelt ein lächerlicher „Landgendarm“ auftaucht und die „gefährliche“ Himmelserscheinung verscheucht. Ein solches Bild kann man auch als Ironisierung der metaphorischen Hysterien deuten, mit denen der Expressionismus seine Großstadt-Landschaften bebilderte.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00