KLABUND
Prolog
Ich sitze hier am Schreibetisch
Und schreibe ein Gedichte,
Indem ich in die Tinte wisch
Und mein Gebet verrichte.
So giebt sich spiegelnd Vers an Vers
In ölgemuter Glätte.
Nur selten fragt man sich: Wie wärs,
Wenn es mehr Seele hätte?
Die Seele tut mir garnicht weh,
Sie ist ganz unbeteiligt.
Nackt liegt sie auf dem Kanapee
Und durch sich selbst geheiligt.
Des Abends geh ich mit ihr aus,
Im Knopfloch eine Dahlie.
Ich selber heiße Stanislaus,
Sie aber heißt Amalie.
1913
Er war ein Virtuose der lässigen, mitunter auch frivolen Reimbildung, ein säkularer Großstadtpoet par excellence: Der von seinen Todesahnungen zu fieberhafter Produktivität getriebene Klabund (1890–1928), der als Dichter seinen bürgerlichen Namen Alfred Henschke abstreifte, zelebrierte gern das schnoddrige Chanson, das leichthändige Gedicht, das mit viel Sarkasmus gewürzt war. Sein fulminantes Debüt morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern! (1913) eröffnete er gleich mal mit einem Gedicht, das die Tätigkeit des Dichters in ironische Ambivalenzen taucht.
Feierlichkeit kann hier erst gar nicht aufkommen. Der Dichter ironisiert sein Metier, indem er vom rein graphomanischen „Tintengewische“ spricht. Und um den Verdacht bloßer Reim-„Glätte“ von seinen Versen abzuwehren, bringt Klabund eine ehrwürdige Kategorie des romantischen Stimmungsgedichts ins Spiel: die Seele. Und diese Seele erscheint hier nicht als religiös affizierte Instanz menschlicher Innerlichkeit, sondern als laszives Wesen, das sich nackt auf dem Kanapee räkelt, so dass das lyrische Ich bald vom „Ausgehen“ mit der reizvollen Seele träumt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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