LUDWIG UHLAND
Frühlingsglaube
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.
1812
Als sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts einige Lyrik-Anthologien darum bemühten, mit allerlei Statistiken die „beliebtesten deutschen Gedichte“ der deutschen Literaturgeschichte ausfindig zu machen, feierte der volkstümelnde Spätromantiker Ludwig Uhland (1787–1862) einen unerwarteten Triumph. Sein optimistisch gestimmter „Frühlingsglaube“ belegte im Ranking den ersten Platz.
So fröhlich entschlossen zum Aufbruch in eine bessere Zukunft, so genügsam beschaulich und schmerz-abstinent ruht es in sich selbst: das Ideal-Gedicht des deutschen Lyrik-Publikums. Poesie wird hier zur Heilsgeschichte: Die Popularität dieses 1812 entstandenen Gedichts verdankt sich wohl nicht nur der ungebrochenen Affirmation des Daseins, sondern auch der simpel gestrickten Friedlichkeit und naturpoetischen Schlichtheit, mit denen hier alle Affekte besänftigt und alle Aufgeregtheit beschwichtigt werden.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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