LUDWIG UHLAND
Schwere Träume
Das war mir eine schwere Nacht,
Das war ein Traum von langer Dauer;
Welch weiten Weg hab ich gemacht
Durch alle Schrecken, alle Schauer!
Der Traum, er führt’ mich an der Hand,
Wie den Äneas die Sibylle,
Durch ein avernisch dunkles Land,
Durch aller Schreckgestalten Fülle.
Was hilft es, dass die Glocke rief
Und mich geweckt zum goldnen Tage,
Wenn ich im Innern heimlich tief
Solch eine Hölle in mir trage?
1812
Die Melancholien eines 25-jährigen haben hier das Weltgefühl der romantischen Generation verdunkelt. Der schwäbische Dichter Ludwig Uhland (1787–1862) evoziert die „schweren Träume“ eines unglücklichen Bewusstseins, das sich aus seiner Höllenqual nicht befreien kann, sondern habituell an die uralten Dämonen gefesselt bleibt. Hier schreibt nicht der genialische Autor volksliedhafter Verse, sondern ein Sänger der Schwermut.
Das Gedicht ist 1812 entstanden, als Uhland den Zenit seiner Popularität als Volkslieddichter bereits überschritten hatte. Es dokumentiert die Nachtseiten des sogenannten literarischen Biedermeier, das Uhland repräsentiert. Später bearbeitete der Dichter solche tiefen Melancholien, von denen der Text spricht, durch liberalen politischen Aktivismus: Er war Abgeordneter der württembergischen Ständeversammlung und wurde 1848 zur Frankfurter Nationalversammlung in die Paulskirche entsandt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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