MARION POSCHMANN
Der Kreislauf der Waldgebiete
in Wäldern gewandert
dieselbe Prozedur wie damals
im mächtigen Schatten der Mutter: Tannen und
Untertannen
verrieselten stumm und unbemerkt
aaaaasie war ein dunkles Ensemble
aaaaawar Schwarztanne Baldrian
aaaaaWermut und Ginseng
ich hielt ihre Hand
ich schwitzte den Duft
schuppiger Zapfen aus
durch dunkle Flecken verunsichert:
wollte den Regen von meiner Jacke
abwaschen
Bäume in naßkalter Andachtshaltung
lange betropfte Köpfe
2004
aus: Marion Poschmann: Grund zu Schafen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2004
Die 1969 geborene Dichterin Marion Poschmann hat in den Texten ihres Gedichtbandes Grund zu Schafen (2004) demonstriert, wie Naturgedichte unter modernen Erkenntnisbedingungen aussehen können. Bildimpulse der modernen Malerei (z.B. von Cy Twombly) spielen bei ihr ebenso eine große Rolle wie antike Motive. Hier vollzieht sich eine strenge Geometrisierung von Natur und Landschaft, um die vorschnelle Einfühlung und romantische Identifizierung mit den Naturphänomenen abzuwehren.
Die „Mutter“ ist im Gedicht eine seltsam artifizielle Gestalt, so künstlich wie die „Bäume“ der „Waldgebiete“, die das lyrische Ich durchwandert. Die visuellen Momente des Mutter-Bildes rücken dabei in den Vordergrund („sie war ein dunkles Ensemble“), jedwede Gefühls-Psychologie wird ausgeblendet. Stattdessen verschmelzen Mutter und Tochter in dem merkwürdig statuarischen Schlussbild mit dem Naturszenario der Bäume in „Andachtshaltung“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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