MARTIN WALSER
Ich bin versenkt, versunken, kaure am Grund,
habe meine Adresse verbrannt,
habe mein Glas nicht ausgetrunken,
ich bin mir unbekannt,
mir wächst keine Blume im Mund.
nach 1995
aus: Martin Walser: Das geschundene Tier. Neunundreißig Balladen. Zeichnungen von Alissa Walser. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2007
Mit seinen „neununddreißig Balladen“ hat sich Martin Walser (geb. 1927) zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein fatalistisches Glaubensbekenntnis erschrieben. Der Gattungstitel „Ballade“ ist dabei als ironische Pointe zu verstehen. Denn diese negativistisch besessenen Miniaturen neigen zum Verstummen im Heillosen, bevor sich überhaupt die Geschichte eines Subjekts entfalten kann.
Wenn man Balladen als „Tanzlieder“ versteht, so findet man bei Walser allenfalls eine reduzierte Tanzbewegung des fortwährenden Auf-der-Stelle-Tretens. Denn sein lyrisches Ich beschwört das dauerhafte Scheitern, das universelle Misslingen des Lebens. Diese Beschwörungen des permanenten Schmerzes und der finalen Selbstentfremdung ähneln letztlich mehr dem Aphorismus als der traditionell erzählerisch orientierten Ballade. Im vorliegenden Gedicht rettet der Reim – eine Ausnahme bei Walser – das lyrische Moment des Textes.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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