MATTHIAS KEHLE
NICHTS WEISS ICH VOM
Großvater Scharfschütze
sei er im Krieg gewesen
Einmal zeigte er auf
einen Haubentaucher im Zoo
und sagte Peng
Hinterlassen hat er
ein Spanholzschächtelchen
darin einen Fadenzähler und
ein winziges Stück Gold
eingewickelt in ein
Strafmandat (Leipzig 1947)
2007/2008
aus: Jahrbuch der Lyrik 2009. Hrsg. von Christoph Buchwald und Uljana Wolf. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2009
Es sind scheinbar nebensächliche Dinge und unspektakuläre Wahrnehmungen, für die sich der 1967 in Karlsruhe geborene Matthias Kehle interessiert. In den Gedichten selbst sind es gerade die Lücken und Leerstellen, die produktiv werden. Sie setzen Schwingungen frei, die im Leser weiterwirken. Es sind oft nur wenige Striche, die die Kontur eines Menschen aufscheinen lassen. Dabei entsteht eine spannungsvolle Beziehung zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vergangenheit und brüchiger Erinnerung. Sprache und Duktus wirken bei Kehle lakonisch, ja asketisch. Die Satzgebilde selbst sind von Auslassungen geprägt, oder von harten Zusammenfügungen.
So verhält es sich auch im Gedicht „Nichts weiß ich vom“: Eine kurze Momentaufnahme, ein sprödes Porträt vom „Großvater Scharfschütze“. Die nüchterne Bestandsaufnahme, die mit „nichts“ beginnt und mit einer Jahreszahl endet, beharrt auf der Tatsache, dass sehr schnell nur noch wenig von einem Menschen übrigbleibt. Gleichzeitig spricht das Gedicht staunend davon, wie lange der Krieg noch dauert, wenn er vorüber ist.
Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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