MATTHIAS POLITYCKI
Fast eine Romanze (I)
Nie werd’ ich wissen, wie du wirklich heißt,
wie du wohl lächeln würdest, wenn ich sagte,
daß ich mich schier nicht mehr zu regen wagte,
als du den Raum betratst, ich saß wie hingeschweißt,
sah, wie du rauchst und trinkst, das Haar wegstreichst
und eine SMS schreibst, schließlich gehst
und neben meinem Tisch dann plötzlich stehst
und dort erst deine Rechnung schnell begleichst
und wie dein Blick, ganz ohne innre Glut,
sich jäh verhakt und kurz in meinem ruht –
schon seh ich dich von hinten, seh den Hut
aus Stroh, das Sommerkleid, darum ein Band
in Dunkelblau, ein letztes Unterpfand
von dir, tief in den Nachmittag gebrannt.
nach 2005
aus: Matthias Politycki: Die Sekunden danach. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009
Matthias Politycki, Jahrgang 1955, gilt als einer der Meinungsführer seiner Generation. Sein programmatisches Plädoyer für eine „neue Äußerlichkeit“ wendet sich gegen ästhetischen Purismus, gegen Ideologie, Pathos und Innerlichkeit, vor allem gegen den bei anderen Autoren verspotteten „Metaphernprunk“. Literatur und Lyrik sollen zu einer lust- und kraftvollen Direktheit finden, sie sollen den ganz gewöhnlichen Alltag mit seinem gelegentlich möglichen Zauber abbilden.
Das Gedicht „Fast eine Romanze“, geschrieben in der Form des klassischen Sonetts, wurde 2009 veröffentlicht und ist eine lässig-elegante Verbindung von traditionellen Motiven der Liebeslyrik mit Phänomenen des Zeitgeists wie dem Schreiben einer SMS. Das lyrische Ich wendet sich in einem inneren Monolog an eine offensichtlich hinreißende Frau. Es spricht so selbstironisch und leicht melancholisch, wie das auch in der Lyrik von Tucholsky oder Kästner durchklingt. Polityckis liedhaftes Gedicht verweigert jeden Tiefsinn, es ist dem Augenblick ergeben.
Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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