Monika Rincks’ Gedicht „mein lyrisches ich“

MONIKA RINCK

mein lyrisches ich

kam zurück zu mir und sagte: i could do that (das)
’til the end of days. leicht vorgebeugter gang,
diese zeitversetzte taille, noch ist alles gut, ist alles,
wie es sein soll. doch in der nacht, da trafen wir
auf mein brutales double. zurückgerufen mich:
ich sei es nicht. die schwere meiner knochen,
ganz gewiss. ein vogelkopf wippt sprechend
über meiner schulter, dünnes hacken, war da
nicht ein herrgottsschnabel in den augenwinkeln
dieser welt? war da nicht eine enge und ein zwang?
und hab ich schon gesagt: in der tiefen nacht
in jeder stadt begegnete uns auf allen straßen,
die wir gingen, mein brutales double? hab ich schon.
monika, das hast du schon. hab ich schon? du hast.

2007

aus: Monika Rinck: zum fernbleiben der umarmung. kookbooks Verlag, Berlin 2007

 

Konnotation

Die Dichtung der Berliner Dichterin und Essayistin Monika Rinck (geb. 1969) interessiert sich nicht für die klassisch-lyrische Artikulation von Emotionen oder subjektiven Empfindsamkeiten, sondern für die Auseinandersetzung mit Denkprozessen und Begriffswelten. Ihre Gedichte haben ganz selbstverständlich poetologische, kulturwissenschaftliche oder psychoanalytische Reflexionen in sich aufgenommen, ja können ohne diese kognitiven Reize gar nicht existieren. Die Beschäftigung mit der Kategorie des „lyrischen Ich“ führt hier unweigerlich zu vielfältigen Formen der Selbst-Begegnung: Da ist ein unverlässliches Alter Ego und ein unerwartet „brutales Double“.
Das „lyrische Ich“ kann indes auch Vogelgestalt annehmen, die freilich auch literaturgeschichtlich verbürgt ist, so etwa in E.A. Poes Imagination des Raben „Nevermore“. Monika Rincks manchmal atemloser Stil der schnellen Gedankensprünge und raschen Bild- und Blickwechsel setzt mündige Leser voraus, die sich vom Wissenshunger dieser Gedichte infizieren lassen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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