NICO BLEUTGE
dann löste sich die hitze langsam
vom balkon und der blick wurde leichter
von den häusern abgelenkt. die weißen
parabolantennen an den fenstern
fingen schon die ersten lichter an
zu glühen blau und grün verkapselt.
als die augen zwischen den reklametafeln
streunen wollten war es eine rote
plastiktüte in der luft weit oben leuchtend
glitt sie vorbei und gab dem blick nach
und nach halt bis er weich und ruhig
hinter den lidern saß
nach 2000
aus: Nico Bleutge: klare konturen. C.H. Beck Verlag, München 2006
Der 1972 geborene Nico Bleutge ist ein Dichter der feinen Wahrnehmungsnuance, ein skrupulöser Augenmensch und Ohrenzeuge, der sich bevorzugt an kaum sichtbare, kaum hörbare Dinge herantastet. Es sind oft nur Lichtwechsel, Schattenspiele, Wellenbewegungen und „das Gleiten empfindlicher Stoffe“, denen er mit seinem unablässig suchenden Blick folgt. Bleutge selbst spricht in Anlehnung an den russischen Romancier Vladmir Nabokov von „optischen Amalgamierungen“ in seinen Gedichten.
In den intensiven Suchbewegungen dieser Wahrnehmungspoesie scheint es kein klar identifizierbares Ich mehr zu geben, sondern nur noch, so der Autor in einem Essay, einen „Kollektor von sinnlichen Eindrücken“. Tatsächlich ist es das fast trancehafte „Schauen“ selbst, der seine Objekte stetig suchende und fokussierende Blick, der in dieser Poesie zum Hauptakteur wird. Vieles bleibt in diesen Exerzitien der Wahrnehmung in der Schwebe.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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