Nikolaus Lenaus Gedicht „Sonnenuntergang;…“

NIKOLAUS LENAU

Sonnenuntergang;
Schwarze Wolken ziehn,
O wie schwül und bang
Alle Winde fliehn!

Durch den Himmel wild
Jagen Blitze, bleich;
Ihr vergänglich Bild
Wandelt durch den Teich.

Wie gewitterklar
Mein’ ich Dich zu sehn
Und dein langes Haar
Frei im Sturme wehn!

1832

 

Konnotation

Dieser melancholische Romantiker folgte zeitlebens dem tragischen Schicksalsmuster eines unglücklich Liebenden. Von der erdrückenden Fürsorge seiner Mutter vermochte sich Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau alias Nikolaus Lenau (1802–1850) nie richtig zu lösen. Sobald er aus der kindlichen Bindung heraustreten sollte, zog er sich zurück. Auch Charlotte Gmelin, die Nichte des Dichterpfarrers Gustav Schwab, die er im August 1831 kennen gelernt hatte und innig liebte, verließ er, weil er das Andenken seiner Mutter nicht verletzen wollte.
Ein berühmter Zyklus Lenaus, die „Schilflieder“, legt Zeugnis ab von diesen Zerrissenheiten eines Liebenden. Die im Januar 1832 entstandenen Lieder präsentieren den Gesang eines Entsagenden, der sich die Erfüllung seiner Wünsche selbst verbat. Lenau imaginiert im „Sonnenuntergang“ die bedrohlichen Naturgewalten und darin die endgültig verlorene Geliebte, die nur schemenhaft Gestalt annimmt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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