Norbert Hummelts Gedicht „aus der luft“

NORBERT HUMMELT

aus der luft

wie lange kann ich am ufer gehen
ohne den eisvogel einmal zu sehen
wie er im sturz nach seiner beute
taucht / ich weiß nicht riecht es hier
nach kerosin ich kann im augenblick
kein wort verstehen du hast mich
vorhin nur so flüchtig angehaucht

2000

aus: Norbert Hummelt: Zeichen im Schnee. Gedichte. Luchterhand Literaturverlag, München 2001

 

Konnotation

Mit einem DJ hat Marcel Beyer den 1962 in Neuss geborenen Lyriker Norbert Hummelt einmal verglichen und das damit begründet, dass Hummelt „ein besonderes Sensorium für Stimmen, für Geräusche, für Musik“ habe. Singtrieb hieß ein 1997 publizierter Band dieses Dichters, der auch durch seine kongenialen Übersetzungen so bedeutender Autoren wie T.S. Eliot oder Inger Christensen hervorgetreten ist. Hummelt, so Beyer, schäme sich nicht dafür, dass er die Stimmen der Straße, von Freunden und auch anderer Dichter „durch sich hindurchgehen läßt.“
Die ersten beiden gereimten Zeilen des Gedichts „aus der luft“ geben die innere Stimme des lyrischen Ichs beim Spaziergang am Ufer eines Sees wieder: als Sehnsucht, der Eisvogel möge sich einmal im Sturzflug nach seiner Beute zeigen. Dem Wunschbild des kleinen farbigen Vogels folgt aber – im Text nur durch einen Schrägstrich getrennt – der Einbruch der schrillen Wirklichkeit. Es riecht nach Kerosin und kein Wort ist mehr zu verstehen. Das Gedicht schließt mit der Wendung hin zu einem Du und einer Erinnerung, die in ihrer Verletzlichkeit sehr vieles offen lässt.

Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00