Paul Scheerbarts Gedicht „Die Galle“

PAUL SCHEERBART

Die Galle

Mit Euch an einem Tisch zu sitzen
Macht mir den größten Höllenspaß.
Ich träume schon von Euren Witzen.
Wohl dem, der mit Euch Austern aß.

Denn was Ihr trinkt
Ist pure Galle.
Und was Ihr eßt
Ein alter Quark.

Recht grob möchte ich Euch Allen sagen,
Daß Ihr mir nie mehr könnt behagen.
Ihr seid das Luderpack der Welt
Und habt mir manchen Tag vergällt!

nach 1905

 

Konnotation

Der bizarrste Freigeist der deutschen Literatur um 1900 war wohl der Traumarchitekt, Kosmo-Komiker, Laut-Spieler und sinnenfreudige Phantastiker Paul Scheerbart (1863–1915), der gleich auf mehreren Kunst-Bühnen mit Überraschungen vorpreschte. In seinen Gedichten, wie der erfolgreiche Debüt-Titel Katerpoesie (1905) vermuten lässt, plädiert Scheerbart für einen kompromisslosen Hedonismus. Wer letzteren zu hintertreiben versucht, den trifft der Dichter-Zorn.
„Manches Gedicht mit viel Genie / Ist nur Verhöhnung der Poesie“: Ausgehend von dieser Erkenntnis zog es Scheerbart vor, die Vertreter des schlechten Geschmacks und der kulturellen Miesepetrigkeit offen als „Luderpack“ zu attackieren. Wie in dem vorliegenden Fall eines „Tafelgedichts“ aus dem Band Mopsiade, der posthum 1920 erschien. Die Literaturrevolutionen des Expressionismus und Dadaismus, die die bürgerliche Welt ins Taumeln brachten, hat Scheerbart in seiner Poesie antizipiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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